Wenn die Simulation in der Biomedizin eingesetzt wird, hilft sie den Ingenieuren, bessere Geräte schneller und kosteneffizienter zu entwickeln. Allerdings haben die Projektbeteiligten und Aufsichtsbehörden die Vorteile der Simulation nur langsam erkannt und als praktikables Werkzeug für die medizintechnische Entwicklung akzeptiert. Die Ingenieure des ASME V&V 40 Unterkomitees, von denen einige auf dem COMSOL Day: Biomedical Devices sprachen, tragen dazu bei, die Akzeptanz der Simulation in dieser Branche zu steigern. Sie hoffen, eine Zukunft mitgestalten zu können, in der die Simulation als ganzheitlicher Teil der biomedizinischen Entwicklung gesehen wird.
Warum sollten Simulationen in den biomedizinischen Entwicklungsprozess einbezogen werden?
Patientensicherheit gewährleisten
Simulationen in der biomedizinischen Entwicklung zu nutzen hat viele Vorteile, aber was die Hauptmotivation? Es sind die Patienten. Mithilfe von Simulation können Ingenieure bessere und sicherere Geräte und Behandlungsmethoden für Patienten entwerfen und feststellen, welche Methoden für Patienten, die eine bestimmte Behandlungsform benötigen, am sichersten sind.
Eine Simulation der bei der Tumorentfernung entstehenden Wärme (links) und die Medikamentenkonzentration im menschlichen Körper über die Zeit (rechts).
Mithilfe von Simulation lässt sich auch feststellen, ob eine Behandlung oder ein Gerät dem Patienten unbeabsichtigt Schaden zufügt. Ingenieure können die Wechselwirkungen zwischen Energie und Körpergewebe simulieren, um festzustellen, ob Geräte wie Herzschrittmacher und Defibrillatoren dem Patienten während des Betriebs letztendlich vielleicht sogar mehr schaden als nutzen. Ein gängiges Beispiel ist die elektromagnetische Wärme, die bei der Magnetresonanztomographie (MRT) erzeugt wird, und zu Unbehagen führen, oder sogar das Gewebe des Patienten schädigen kann.
Weitere Beispiele sind die Simulation von Laser-Gewebe-Wechselwirkungen, etwa für dermatologische Geräte, und von Arzneimittel-Gewebe-Wechselwirkungen, um die Leistung von Geräten wie Stents zur Medikamentenverabreichung zu bewerten.
Beschleunigung der Produktentwicklung
Neben dem Hauptziel des Patientenwohls trägt die Simulation auch dazu bei, den Umfang der präklinischen Tests zu verringern, die während der Prototyping-, Entwicklungs- und Zulassungsphase eines medizinischen Produkts durchgeführt werden müssen. Durch die Verringerung des notwendigen Prüfaufwands können Produkte schneller auf den Markt gebracht werden.
Ein Modell eines biomedizinischen Stents (links) und einer Herzschrittmacher-Elektrode (rechts).
Die Simulation kann die Entwicklung medizinischer Geräte und Verfahren in verschiedenen Disziplinen beschleunigen:
- Implantate
- Koronarstents
- Herzklappen
- Nitinolstents
- Okkluder
- Rückenmarkstimulation
- MRT
- Radiofrequenzablationsgeräte
- Und viele weitere
Um während des Entwicklungsprozesses Kosten zu sparen, kann die Simulation einen großen Teil der Arbeit übernehmen, die normalerweise durch kostspielige experimentelle Tests und klinische Prüfungen geleistet wird. Optimierte Geräte, die auf kosteneffizientere Weise entwickelt werden, könnten sogar zu weniger kostspieligen Behandlungen für den Patienten führen.
Verständnis fördern
Betrachten wir die biomedizinische Entwicklung einmal aus der Vogelperspektive: Simulationen und Experimente können biomedizinischen Ingenieuren helfen, die Funktionsweise eines Geräts oder Prozesses vollständig zu verstehen. Beispiele sind die Verwendung von Simulationen zum Verständnis:
- Des Innenlebens von Ohr und Hörgeräten
- Wie Medikamente im menschlichen Körper verteilt werden und die Funktionsprinzipien von pharmakologischen Prozessen und Systemen zur Medikamentenverabreichung
- Der Mechanik von Schnelltestsystemen
- Der Arbeitsweise von Ultraschall, MRT, DNA-Synthese, und anderen biomedizinischen Prozessen
“Wenn man Modelle zusammen mit Erfahrung einsetzt, wird beides besser”, sagt Arlen Ward bei der Diskussionsrunde mit dem Titel “Simulation Software’s Remarkably Increased Role in Inventing, Developing, and Certifying Medical Device Designs” auf dem COMSOL Day: Biomedical Devices. Die Runde wurde von Nagi Elabbasi von Veryst Engineering moderiert, einem COMSOL Certified Consultant, und beinhaltete Beiträge von Ismail Guler von Boston Scientific, William Torres von Exponent, und Carlos Corrales von Baxter International, Inc.
Ein parametrisches optomechanisches Modell des menschlichen Auges kann genutzt werden, um Augenkrankheiten und das Altern besser zu verstehen. Bild mit freundlicher Genehmigung von Kejako aus dem Beitrag “3D Parametric Full Eye Model Gives 20 Years of Better Vision“.
Innovation
Ingenieure können nicht nur die bereits in der Biomedizin existierenden Geräte und Prozesse vollständig verstehen, sondern die Simulation auch für die Innovation völlig neuer medizintechnischer Produkte nutzen. “Simulation kann in einer explorativen Funktion eingesetzt werden, um neue Geräte zu entwickeln, die man nicht für möglich gehalten hätte”, so ein weiterer Diskussionsteilnehmer des COMSOL Day, Carlos Corrales von Baxter International, Inc. Er beschrieb, wie Ingenieure die Simulation bereits in einem sehr frühen Stadium des Designprozesses einbeziehen können, um festzustellen, ob etwas überhaupt als Produkt in Betracht gezogen werden kann.
Eine Simulation des elektromagnetischen Feldes um eine MRT-Vogelkäfigspule (links) und Elektromagnetische Störung / Elektromagnetische Verträglichkeit für einen RFID-Transponder für tragbare medizinische Geräte (rechts). Die COMSOL Multiphysics® Software kann zur Modellierung zahlreicher physikalischer Phänomene im menschlichen Körper und den zu seiner Behandlung verwendeten Geräten genutzt werden, darunter Festkörpermechanik, Strömungsmechanik, Wärmetransport, Elektromagnetik, Biotransport, Medikamentenverabreichung, Akustik und jedes multiphysikalische Phänomen.
Aufmerksamkeit und Akzeptanz für die Simulation
Obwohl der Einsatz von Simulation in diesem Bereich stetig zunimmt, bleibt noch viel Luft nach oben für eine verstärkte Akzeptanz dieser Werkzeuge. Aber wie kann sie erreicht werden?
ASME V&V 40
Die American Society of Mechanical Engineers (ASME) unterstützt eine Gruppe von Ingenieuren und Wissenschaftlerinnen, genannt das V&V 40 Unterkomitee, die daran arbeiten, sicherzustellen, dass die im medizinischen Bereich verwendeten Modelle angemessen verifiziert, validiert, und durch Quantifizierung der Unsicherheit (UQ) analysiert werden.
Die Verifizierung umfasst zwei Aktivitäten: die Überprüfung des Codes und die Überprüfung der Lösung. Die Code-Verifizierung stellt sicher, dass die numerischen Algorithmen korrekt sind und im Code richtig implementiert wurden. Bei der Lösungsverifizierung wird die numerische Genauigkeit der diskreten Lösung bewertet. Mit der Validierung soll festgestellt werden, ob ein Modell seine reale Anwendung exakt wiedergibt. Die Quantifizierung der Unsicherheit dient schließlich dazu, festzustellen, wie sich eine Veränderung der numerischen oder physikalischen Parameter eines Modells auf seine Ergebnisse auswirkt.
Durch die Einhaltung der strengen Richtlinien des Unterkomitees konnte ASME V&V 40 die Akzeptanz der Gültigkeit von Modellen für medizinische Geräte und Prozesse im gesamten Bereich der Biomedizin fördern. Zwei der Teilnehmer des COMSOL Day, Carlos Corrales und Ismail Guler von Boston Scientific, sitzen derzeit im V&V 40 Unterkomitee.
Die Diskussionsteilnehmer des COMSOL Day: Biomedical Devices, von denen einige am ASME V&V 40 beteiligt sind.
Modellierung als Ergänzung zu anderen Prozessen
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass Simulationsingenieure im biomedizinischen Bereich nicht vorhaben, experimentelle Tests und klinische Studien vollständig durch Simulation zu ersetzen. Vielmehr soll die Simulation diese anderen Analysemethoden ergänzen. “So sehr wir auch Experimente brauchen – und wir leben von Experimenten, ohne sie hätten wir keine Modelle – so sehr sind die Möglichkeiten, Experimente durchzuführen, begrenzt”, sagt Corrales. Ward stimmt dem zu und ergänzt: “Wenn man die Modellierung zusammen mit experimentellen Tests einsetzt, wird beides besser.”
Einführung in die Simulation als Konzept
Eine große Herausforderung, wenn es darum geht, medizinisches Fachpersonal für den Einsatz von Simulation zu gewinnen, besteht darin, dass sie damit möglicherweise noch gar nicht vertraut sind. Hochwertige Visualisierungen von Simulationsergebnissen und spezielle Simulations-Apps, mit denen die Endnutzer interagieren können, helfen dabei, Regulierungsbehörden und anderen Interessengruppen die Vorteile der Simulation näherzubringen.
Diese Menschen verstehen vielleicht die Einzelheiten der Simulation nicht vollständig, ob sie nun eine Datentabelle oder eine hochwertige 3D-Visualisierung betrachten. “Wir müssen verbessern, wie wir Modellierung und Simulation und den gesamten Prozess erklären, und wie das Modell, die Löser und die Ergebnisse aufgesetzt werden”, sagt William Torres, ein weiterer Diskussionsteilnehmer. “Andernfalls sieht man, wie die Augen der Beteiligten glasig werden.”
Simulations-Apps sind eine intuitive Möglichkeit, diesen Akteuren die Vorteile der Simulation aufzuzeigen. Sie können von Personen genutzt werden, die mit der Erstellung von mathematischen Modellen nicht vertraut sind. Berater, Ärztinnen, Chirurgen und andere medizinische Fachkräfte können sogar spezielle Apps verwenden, um ihre eigenen Analysen zu berechnen.
Im folgenden Video erfahren Sie mehr über die Entwicklung und Bereitstellung von Apps und sehen eine biomedizinische App in Aktion:
Ein globaler Wendepunkt
Im März 2020 schränkte die COVID-19-Pandemie den Zugang zu Laboren und Testeinrichtungen stark ein und machte die Durchführung klinischer Studien und Experimente nahezu unmöglich. Diese Herausforderung bot jedoch auch eine Chance: Der fehlende Zugang zu Laboren schränkte die Möglichkeiten für Biomedizintechniker ein und steigerte das Interesse an der Modellierung und Simulation in diesem Bereich.
Ein Modell eines neuen Maskendesigns mit nichtinvasiver Ventilation (NIV). Bild mit freundlicher Genehmigung von Polibrixia aus dem Blog-Beitrag “Optimierung eines NIV-Maskendesigns mit Multiphysik-Simulation”.
Wie geht es weiter?
Die nächste Generation biomedizinischer Ingenieure
Ingenieure wie die Teilnehmer des COMSOL Day: Biomedical Devices und Komitees wie V&V 40 treiben die Adaption der Simulation in der biomedizinischen Industrie voran. Die Food and Drug Administration (FDA) und andere Aufsichtsbehörden akzeptieren mittlerweile Simulationsergebnisse bei der Zulassung von biomedizinischen Geräten und Behandlungen. Was kommt als Nächstes?
Indem wir Studierende der Biotechnologie an die Simulation heranführen, können wir langfristig eine Zukunft schaffen, in der die Simulation als ganzheitlicher Teil des biomedizinischen Entwicklungsprozesses betrachtet wird. “Studenten und junge Ingenieure müssen die Möglichkeit haben, die Simulation als Teil ihrer Methodik zu betrachten, nicht nur als ein Werkzeug”, sagt Ward.
Indem wir die Simulation in die Ausbildung von Bioingenieurstudenten einbeziehen, können wir sicherstellen, dass dieser ganzheitliche Ansatz für die biomedizinische Entwicklung zu einer immer besseren Zukunft für die Welt der Biomedizin führt.
Nächste Schritte
Sehen Sie sich diese Keynote-Vorträge des COMSOL Day: Biomedical Devices an:
- High-Intensity Focused Ultrasound Medical Devices
- Blood Damage Modeling of FDA Benchmark Nozzle
- RF-Induced Heating of Medical Devices in Open-Bore MRI
- Isolation of Pulmonary Veins by Electroporation
- Product Development Life Cycle for Implantable Medical Devices
- Medical Device Development Revolution Impacting Speed to Market and Patient Safety
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