Hydrodynamischer Wärmetransport im Kinetic-Collective Model (KCM)

28. Feb 2019

Heute laden wir den Gastblogger F. Xavier Alvarez von der Universitat Autònoma de Barcelona (UAB) ein, um die Modellierung des Wärmetransports auf der Nanoskala mithilfe eines neuen theoretischen Frameworks und der Software COMSOL Multiphysics® zu besprechen.

Die Elektronikindustrie entwickelt immer kleinere elektronische Geräte, die Wärme erzeugen, welche abgeführt werden muss. Es ist zu beobachten, dass die Wärme bei kleineren Größenordnungen schwieriger abzuführen ist, als es das Fouriersche Gesetz vorhersagt, was auf seine begrenzte Gültigkeit hindeutet. Unser derzeitiger Forschungsschwerpunkt ist die Lösung dieses offenen Problems.

Das Fouriersche Gesetz zur Beschreibung des Wärmetransports

Im Jahr 1822 veröffentlichte Fourier die Théorie Analytique de la Chaleur (Analytische Theorie der Wärme). Seitdem wurde das Fouriersche Gesetz erfolgreich eingesetzt, um viele verschiedene experimentelle Beobachtungen in einer großen Vielfalt von Systemen zu beschreiben – mit bemerkenswerten Ergebnissen. Das Fouriersche Gesetz beschreibt eine einfache Beziehung zwischen dem Wärmegradienten und dem Wärmefluss:

(1)

q=-\lambda \nabla T

 

wobei \lambda die Wärmeleitfähigkeit ist, eine Eigenschaft des Materials.

In den letzten Jahrzehnten gab es Hinweise darauf, dass Gleichung (1) bei der Analyse von Bauteilen mit charakteristischen Längen L, die kleiner als die mittlere freie Weglänge der Wärmeträger (Phononen) sind, nicht korrekt ist. Der beobachtete Wärmefluss wird viel kleiner als der durch das Fouriersche Gesetz vorhergesagte, wodurch sich die Fähigkeit dieser Komponenten, die überschüssige Wärme abzugeben, verschlechtert. Dieses Problem wird in der Regel durch die Verwendung einer effektiven Wärmeleitfähigkeit in Abhängigkeit von der charakteristischen Länge \lambda (L) gelöst, die empirisch bestimmt werden muss.

Die kinetische Theorie ermöglicht uns eine korrekte Vorhersage der Wärmeleitfähigkeit in einfachen Geometrien, aber ihre Anwendung ist bei der komplexen Geometrie eines elektronischen Bauteils derzeit nicht möglich.

Das Kinetic-Collective Model für den hydrodynamischen Wärmetransport

Das Kinetic-Collective Model (KCM), das an der UAB entwickelt wurde, ist ein theoretisches Framework, das sich auf die Beschreibung des Wärmetransports auf der Nano- und Mikroskala sowie auf die Berechnung der entsprechenden Transportparameter konzentriert, die in den Gleichungen aus mikroskopischen Berechnungen auftreten. Nur durch diese Kombination von Berechnungen sind wir in der Lage, ein prädiktives Modell zu entwickeln.

Die Korrektur erster Ordnung des Fourierschen Gesetzes ist die Guyer-Krumhansl-Gleichung:

(2)

q=-\lambda \nabla T+l^{2} \nabla^{2} q

 

Diese Gleichung wird mit einer Randbedingung für den Fluss kombiniert. Für ein besseres Verständnis verwenden wir hier die einfachste Version:

(3)

q = 0

 

Beachten Sie, dass der neue Laplace-Term in Gleichung (2) das Fouriersche Gesetz in ein Gesetz verwandelt, das der Stokes-Gleichung für ein viskoses Fluid ähnelt. Aus diesem Grund wird das Verhalten nach Gleichung (2) gewöhnlich als Phononenhydrodynamik bezeichnet. Der neue Term führt eine Wärmeviskosität ein, die die effektive Leitfähigkeit in Regionen verringert, in denen der Fluss nicht homogen ist. In diesen Regionen sind der Wärmefluss und der Temperaturgradient nicht mehr parallel, was wichtige Konsequenzen für die Wärme- und Temperaturverteilungen hat.

Es ist sinnvoll, die verschiedenen Konsequenzen der Gleichung (1) und der Gleichungen (2-3) anhand einer einfachen Geometrie wie einem Nanodraht zu analysieren. In der Abbildung unten sehen Sie den Wärmefluss in einem Nanodraht mit einem Radius von 500 nm, der an einem Ende erhitzt und am anderen Ende abgekühlt wird. An den gegenüberliegenden Enden des Drahtes herrschen heiße und kalte Temperaturen und für den Fluss werden periodische Bedingungen verwendet, um Randeffekte auf das Profil zu vermeiden. Das Temperaturprofil ist in allen Fällen gleich: ein konstanter Gradient in Längsrichtung und keine Variation in Querrichtung. Der Fluss ist für eine Reihe von Situationen mit steigendem Wert der Viskosität geplottet, ausgehend vom Fourierschen Gesetz (l=0) bis zu einem Wert von l = 300 nm. Der Hauptunterschied lässt sich leicht feststellen: Während Gleichung (1) einen konstanten Fluss auf dem Querschnitt ergibt, ergeben Gleichungen (2-3) ein gekrümmtes Flussprofil.

Simulationsergebnisse, die den hydrodynamischen Wärmetransport innerhalb eines Nanodrahtes zeigen.
Wärmefluss in Längsrichtung innerhalb eines Nanodrahtes mit einem Radius von 500 nm. Die drei Abbildungen zeigen das Profil des Wärmeflusses, das sich aus den Gleichungen (2-3) ergibt. Das flache Profil entspricht l=0 (entspricht dem Fourierschen Gesetz), das mittlere Profil entspricht l=100 nm und das linke Profil entspricht l = 300 nm. Der gesamte Wärmefluss nimmt mit zunehmendem l ab, was zu einer geringeren effektiven Leitfähigkeit des Nanodrahtes führt.

Die Krümmung des Wärmeflusses tritt auf, weil die Wirkung des Randes den Wärmestrom in einem Bereich der Breite l reduziert. Wenn l im Vergleich zum Radius des Drahtes (l<R) klein ist, zeigt sich, dass der Fluss nur in einer zylindrischen Kruste in der Nähe des Randes, der sogenannten Knudsen-Schicht, beeinflusst wird. Außerhalb dieser Schicht wird der Wert des Wärmeflusses, der der Fourier-Grenze entspricht, wiederhergestellt.

Wenn die charakteristische Länge in der gleichen Größenordnung wie der Radius des Drahtes liegt, nimmt die Knudsen-Schicht zu, bis die Auswirkungen auch in der Mitte zu spüren sind. An diesem Punkt wird der Wärmefluss überall im Querschnitt der Probe reduziert und das Strömungsprofil zeigt Ähnlichkeiten mit der parabolischen Poiseuille-Strömung für viskose Fluide.

Wie wir bereits erwähnt haben, ist der wichtigste Aspekt bei der Bestimmung der Gleichung für den Wärmetransport in Nanodrähten, dass es nicht möglich ist, das Profil des Wärmeflusses innerhalb des Querschnitts experimentell zu ermitteln. Die einzige Größe, die gemessen werden kann, ist die effektive Wärmeleitfähigkeit, definiert als der gemittelte Fluss über den Querschnitt geteilt durch den Temperaturgradienten. Dies hindert uns daran, experimentell zu unterscheiden, ob wir ein Verhalten beobachten, das von der Guyer-Krumhansl-Gleichung vorhergesagt wird, oder einfach ein Verhalten aus Gleichung (1) mit der reduzierten effektiven Wärmeleitfähigkeit.

\lambda_{\mathrm{eff}} = \frac{ q_{\mathrm{av}}}{{\nabla T}}

 

Ein Plot der Flussprofile entlang des Drahtdurchmessers.
Flussprofile über einen Drahtdurchmesser unter Verwendung des KCM (schwarze Linie) mit l = 100 nm und dem Fourierschen Gesetz (blaue Linie).

Die obige Abbildung zeigt zwei verschiedene Wärmeflussprofile über einen Drahtdurchmesser. Die schwarze Linie ist das Ergebnis bei Verwendung des KCM mit einer nichtlokalen Länge von 100 nm und die blaue Linie ist das Fourier-Profil. Beide Systeme haben die gleiche effektive Wärmeleitfähigkeit, da ihre mittleren Wärmeströme gleich sind. Folglich liefern sie das gleiche experimentelle Ergebnis.

Um festzustellen, ob diese Gleichung gültig ist, ist eine räumlich aufgelöste Messung erforderlich. Diese wurde vor Kurzem mithilfe eines Thermoreflektionssystems durchgeführt.

Messung der Thermoreflektion eines Halbleitersubstrats in COMSOL Multiphysics®

Der Reflexionsgrad ist die Materialeigenschaft, welche die Fähigkeit einer Oberfläche zur Reflektion einer elektromagnetischen Welle beschreibt. Ein wichtiges Merkmal dieser Größe ist, dass sie temperaturabhängig ist. Dies ermöglicht Thermoreflektionsmessungen (TRI), bei denen das von der Oberfläche reflektierte Licht zur Ermittlung der Temperatur verwendet wird.

Das Birck Nanotechnology Center (BNC) an der Universität Purdue hat kürzlich ein Thermoreflektions-Setup entwickelt und die Temperatur eines Siliziumsubstrats gemessen, wenn Wärme von metallischen Linien unterschiedlicher submikrometrischer Länge auf der Oberseite abgegeben wird. Die Ergebnisse können Sie unten sehen.

Ein Plot des Wärmeflusses und des Temperaturgradienten in einem in COMSOL Multiphysics® modellierten Siliziumsubstrat.
Richtungen des Wärmeflusses (weiße Pfeile) und des Temperaturgradienten (schwarze Pfeile) in einem Siliziumsubstrat, das von einer submikrometrischen metallischen Linie beheizt wird, die mit dem KCM ermittelt wurde. In der Nähe der Linie spielt die Wärmeviskosität eine wichtige Rolle, was daran zu erkennen ist, dass die Vektoren des Wärmeflusses und des Temperaturgradienten nicht die gleiche Richtung haben.

Die Frage, die die BNC- und UAB-Gruppen zu lösen versucht haben, ist, ob das Experiment durch die Verwendung eines effektiven Fourierschen Gesetzes beschrieben werden kann oder ob wir ein verbessertes Modell verwenden müssen. Die Komplexität der Geometrie ist deutlich höher als im vorherigen Fall, daher ist es wichtig, ein Werkzeug zu haben, das das thermische Verhalten in dieser Situation lösen kann. Hier kommt die Kombination aus der Einfachheit des theoretischen Ansatzes von KCM und der Leistungsfähigkeit des Finite-Elemente-Lösers in COMSOL Multiphysics® zum Tragen.

COMSOL Multiphysics® ermöglicht es uns, das Experiment vollständig zu definieren, einschließlich der Konsistenz im Substrat, einer Isolationsschicht aus Oxid und der metallischen Linie an der Spitze. Im Gegensatz zum Ansatz der Boltzmann-Transportgleichung lassen sich diese einfachen Gleichungen leicht in einem vollständigen 3D-Modell lösen.

Es ist zu beobachten, dass das Fouriersche Gesetz nicht in der Lage ist, den gesamten Datensatz mit dem Nennwert oder einem angepassten oder effektiven Wert für die Wärmeleitfähigkeit zu beschreiben.

Ein Plot, der das mit TRI erhaltene Temperaturprofil mit dem Fourierschen Gesetz vergleicht.
Ein Plot des Temperaturprofils aus der Thermoreflektionsmessung (TRI) (Sternchen) im Vergleich mit der Vorhersage, die sich aus dem Fourierschen Gesetz mit einem erhöhten Wert der Leitfähigkeit (rote Linie), dem Fourierschen Gesetz mit einer zur Anpassung an die Heizungstemperatur reduzierten Leitfähigkeit (grün) und dem KCM (blau) ergibt.

Im obigen Plot ist die rote Linie das Ergebnis der Anwendung des Fourierschen Gesetzes mit dem Nennwert von λ für das Substrat. In diesem Fall ist zu beobachten, dass die Temperatur an der Heizungslinie zu niedrig vorhergesagt wird. Wenn wir das Fouriersche Gesetz mit einem geänderten Wert für λ verwenden, um die Temperatur am Heizer anzupassen, wie in der grünen Linie gezeigt, erhalten wir eine Übervorhersage an den Enden.

Die unzureichende Vorhersagbarkeit der Daten in den vorangegangenen Beispielen ist ein klarer Beleg dafür, dass das Fouriersche Gesetz kein gültiges Modell zur Beschreibung des Wärmetransports in diesen Größenordnungen ist.

Die blaue Linie im Diagramm zeigt die Vorhersage des KCM für diese Geometrie. Es ist zu erkennen, dass dieses Modell in der Lage ist, das Temperaturprofil am Thermometer und an den Enden vorherzusagen, indem es den Nennwert der Wärmeleitfähigkeit, λ = 150 W/mK, und die nichtlokale Länge, l = 180 nm, verwendet.

Abschließende Bemerkungen

Diese Ergebnisse zeigen, wie Werkzeuge wie COMSOL Multiphysics® in der Forschung eingesetzt werden können, um die Natur von Transportprozessen wie dem Wärmetransport im Nanomaßstab zu verstehen. Wir erwarten in den kommenden Jahren neue Fortschritte zur Modellierung des Wärmetransports im Nanomaßstab mit diesem kombinierten Ansatz.

Weitere Lektüre

Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in der Veröffentlichung der Forscher: P. Torres, A. Ziabari, A. Torelló, J. Bafaluy, J. Camacho, X. Cartoixà, A. Shakouri, and F.X. Alvarez, “Emergence of hydrodynamic heat transport in semiconductors at the nanoscale”, Phys. Rev. Materials, 2, 2018, 076001.

Über den Gastautor

F. Xavier Alvarez ist Professor an der Fakultät für Physik der Universitat Autònoma de Barcelona. Seine Forschungsthemen sind Transportphänomene und Nichtgleichgewichtsthermodynamik. In den letzten Jahren hat er sich darauf konzentriert, das Verhalten von Wärme auf der Nanoskala zu verstehen. Das Hauptziel dieser Forschung ist es, bessere Transportgleichungen zu entwickeln, die die Vorhersagbarkeit der von der Elektrotechnik verwendeten Simulationswerkzeuge verbessern. Heute ist er der Leiter der Nanotransportgruppe an der UAB.

Nomenklatur

  • T: Temperatur (SI-Einheit: K)
  • q: Wärmefluss (SI-Einheit: W/m2/K)
  • \lambda: Wärmeleitfähigkeit (SI-Einheit: W/m/K)
  • l: Hydrodynamische Länge (SI-Einheit: m)

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