Eine Tour durch den Göttinger Stadtfriedhof mit seinen berühmten Wissenschaftlern
Seit meine Frau und ich glückliche Eltern von zwei Kindern geworden sind, hat sich unsere Zeit für Spaziergänge vervielfacht, da die beiden am besten in ihren Buggys einschlafen. Glücklicherweise wohnen wir direkt neben dem größten Park in unserer Heimatstadt Göttingen, dem historischen Stadtfriedhof. Neben den jahrhundertealten Bäumen und Anlagen finden sich viele historische Gräber mit einigen sehr bekannte Namen, darunter acht Nobelpreisträger. Außerdem stoßen wir immer wieder auf Namen, die jenen bekannt vorkommen werden, die Naturwissenschaften studiert haben…
Eine wissenschaftliche Tour des Göttinger Stadtfriedhofs
Heute möchte ich Sie auf eine ganz besondere Tour mitnehmen, die einige der wichtigsten, brillanten Köpfe des frühen 20. Jahrhunderts aufspürt – eine Blütezeit der Wissenschaft in Göttingen. Die wichtigsten Errungenschaften dieser längst verstorbenen Persönlichkeiten werden manchmal auf ihren Gräbern auf dem Stadtfriedhof, dem historischen Friedhof der Stadt Göttingen, hervorgehoben. Was von zahllosen Passanten auf dem Friedhofsgelände oft übersehen wird, ist für aufmerksame Beobachter ein “Aha-Erlebnis”. Mal sehen, ob Sie die Hinweise auf unserem Rundgang bemerken…
Der historische Stadtfriedhof in Göttingen.
Das Nobelrondell
Unsere Tour beginnt am Nobelrondell, das die acht auf dem Friedhof begrabenen Nobelpreisträger ehrt. Das Bauwerk befindet sich in der Nähe eines kleinen Teiches und besteht aus einem Obelisken, der von Stelen umgeben ist, die in Form eines Siebzehnecks (Heptadekagon) angeordnet sind.
Das Nobelrondell, das Hinweise und Hintergrundinformationen zu den acht dort begrabenen Nobelpreisträgern enthält.
Es ist interessant, dass ein Heptadekagon nur mit einem Zirkel und einem unmarkierten Lineal konstruiert werden kann, aber seine Konstruierbarkeit Tausende von Jahren lang nicht bewiesen werden konnte. Als Carl Friedrich Gauß 19 Jahre alt war, gelang ihm diese Konstruktion. (Gauß ist ebenfalls in Göttingen begraben, aber in einem anderen Park.)
Gehen wir weiter…
Ruhestätten berühmter Wissenschaftler
Die interessante Inschrift von Otto Hahn
Wenn wir vom Nobelrondell aus am Teich entlang gehen, finden wir die Gräber von Max von Laue und Walther Nernst, und ein paar Meter weiter das Grab von Otto Hahn, der den Nobelpreis für Chemie erhielt. Bei näherer Betrachtung fällt Hahns schlichter Grabstein dadurch auf, dass unten die Formel der Uranspaltung dargestellt ist.
Grabstein am Grab von Otto Hahn mit einer kurzen Formel auf der Unterseite.
Der in dieser Formel beschriebene Prozess besteht darin, dass ein Urankern mit einem Neutron beschossen wird und dann zerfällt. Dabei wird zum einen die unglaubliche Energie von 173 MeV und zum anderen weitere Neutronen freisetzt, was eine Kettenreaktion auslöst. Mit dieser Entdeckung läutete Hahn das Atomzeitalter ein, was ihm den Titel “Vater der Kernspaltung” und den Nobelpreis einbrachte. Später, nach dem Abwurf der ersten Atombomben, war er einer der schärfsten Kritiker der atomaren Aufrüstung und wurde für seinen aktiven Pazifismus wiederholt für den Friedensnobelpreis nominiert.
Es war jedoch nicht Otto Hahn allein, der die Kernspaltung entdeckte. Seine Kollegin Lise Meitner, die jahrzehntelang mit ihm zusammengearbeitet hatte, trug maßgeblich zu dieser Entdeckung bei, indem sie die entsprechenden Experimente anregte, theoretisch untermauerte und schließlich richtig interpretierte. Im Laufe ihrer wissenschaftlichen Karriere wurde Meitner nicht weniger als 48 Mal für den Nobelpreis nominiert (darunter einmal von Hahn selbst) und ging doch immer leer aus, obwohl sie diese Anerkennung aufgrund ihrer Leistungen sicherlich verdient hätte. Dieser Umstand wird heute als eines der größten Versäumnisse der Akademie angesehen.
Das unauffällige Denkmal von Max Planck
Ein paar Meter weiter auf unserem Rundgang befindet sich die Grabstätte des mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Physikers Max Planck. Der schlichte Stein ist nur mit seinem Namen beschriftet, und erst bei genauerem Hinsehen erkennt man den Ausdruck h=6,62 \cdot 10^{-34} W \cdot s^2 ganz unten, eingerahmt von Ornamenten.
Grabstein aus dem Grab von Max Planck, mit dem Wert einer Größe ℎ unten.
h ist das Plancksche Wirkungsquantum, auch Planck-Konstante genannt, eine universelle Größe, die neben der Gravitationskonstante und der Lichtgeschwindigkeit als die dritte der fundamentalen Naturkonstanten der Physik gilt. (Sie ist eine so elementar wichtige Größe, dass mir der kleine Hinweis auf dem Grabstein immer unglaublich bescheiden vorkam, als ob sie nicht die Grundlage für die Entwicklungen der modernen Quantenphysik wäre.) Albert Einstein erkannte die fundamentale Bedeutung von Plancks Arbeit schon früh und nutzte sie, um die Quanteneigenschaften des Lichts im photoelektrischen Effekt zu erklären, wofür er ebenfalls den Nobelpreis erhielt.
Der von Planck gewählte Buchstabe h steht einfach für Hilfsgröße. Planck führte ihn ein, um das Plancksche Strahlungsgesetz aus dem Ergebnis seiner Messungen abzuleiten. Dieses exorbitante Understatement zeigt, dass ihm die Bedeutung seiner Entdeckung damals nicht annähernd klar gewesen sein kann.
Das Quantenmechanik-Monument von Max Born
Wir finden das Plancksche Wirkungsquantum auf dem Grabstein von Max Born und seiner Frau Hedwig als Teil der Formel pq-qp = h/{2 \pi i} wieder, mit der Born die Nicht-Kommutativität quantenmechanischer Größen ausdrückte und aus der Werner Heisenberg (ein Schüler von Born) die berühmte Unschärferelation ableitete.
Grabstein des Grabes von Max Born und seiner Frau, mit einer eingravierten Gleichung.
Born führte nicht nur das Konzept der Quantenmechanik ein, sondern leistete auch bedeutende Beiträge sowohl zum Heisenberg-Bild als auch zur entsprechenden Formulierung des Schrödinger-Bildes. Seine Interpretation der Wahrscheinlichkeit ist die Grundlage der Kopenhagener Interpretation von Niels Bohr und Heisenberg, die einen großen Einfluss auf unsere moderne wissenschaftliche Sicht der Welt hat. Borns Beitrag zur Quantenmechanik wurde spät im Jahr 1954 mit dem Nobelpreis für Physik gewürdigt, 22 Jahre nach seinem Schüler Heisenberg.
Darüber hinaus finden sich unter den Schülern von Born weitere bedeutende wissenschaftliche Persönlichkeiten. Dazu gehören Robert Oppenheimer, der “Vater der Bombe” und Leiter des Manhattan-Projekts, sowie Maria Goeppert Mayer, die Entdeckerin der Kernschalenstruktur und, nach Marie Curie, die zweite Frau, die einen Nobelpreis für Physik erhielt.
Die Kugel mit Sternen von Karl Schwarzschild
Weiter entfernt von den Nobelpreisträgern gibt es ein Grabmal, das selbst dem Uneingeweihten aufgrund seiner eigenartigen Form sofort auffällt: Es besteht aus einem Grabstein, der von einer mit Sternen verzierten Kugel gekrönt wird. Dieses Grabmal gehört zum Grab des Physikers und Astronomen Karl Schwarzschild und seiner Familie.
Grabstein vom Grab von Karl Schwarzschild und seiner Familie, mit einer großen Kugel mit Sternen.
Schwarzschild gilt als der “Erfinder” des Schwarzen Lochs und die Geschichte dieser Entdeckung klingt so unglaublich, dass sie wohl selbst in Hollywood abgelehnt worden wäre. Er entdeckte das zunächst rein theoretische Konzept der schwarzen Löcher als Teil seiner Lösung für die allgemeine Relativitätstheorie weniger als zwei Monate, nachdem Einstein sie formuliert hatte. Sechs Wochen später hatte er das Problem bereits für reale Körper berechnet. All dies tat er nebenbei während seines Militärdienstes an der russischen Front im Ersten Weltkrieg und starb wenige Wochen nach seinen Entdeckungen an einer Autoimmunkrankheit.
Aus seiner speziellen Lösung der Einsteinschen Gleichungen leitete Schwarzschild den Radius ab, auf den ein Objekt komprimiert werden müsste, um ein Schwarzes Loch zu werden. Für die Sonne beträgt dieser Schwarzschild-Radius drei Kilometer, und die Erde würde zu einem Schwarzen Loch werden, wenn sie auf einen Radius von neun Millimetern komprimiert würde, also auf die Größe einer Cashewnuss.
Schwarzschild schickte einen Brief mit seinen Entdeckungen an Einstein, der über die Einfachheit und Eleganz der exakten Lösungen seiner Gleichungen erstaunt war. Er enthielt die Worte: “Wie Sie sehen, meint es der Krieg freundlich mit mir, indem er es mir trotz heftigen Geschützfeuers in der durchaus terrestrischen Entfernung diesen Spaziergang in Ihrem Ideenlande erlaubte.”
Jedes Mal, wenn ich vor Schwarzschilds Grab stehe, frage ich mich unweigerlich, zu welchen brillanten Leistungen und Fortschritten dieser Mann in gesundem Zustand und in Friedenszeiten fähig gewesen wäre, und warum um alles in der Welt er nie posthum einen Nobelpreis erhalten hat. (Der Nobelpreis wurde bis 1974 zweimal posthum verliehen, bis die Statuten geändert und posthume Verleihungen verboten wurden.)
Die nachhaltige Wirkung von David Hilbert
Das Grabmal eines der bedeutendsten Mathematiker der Neuzeit liegt ebenfalls weit entfernt von den Gräbern der Nobelpreisträger und ist, wie die Gräber von Planck und Hahn, sehr schlicht gehalten. Neben seinem Namen, David Hilbert, findet sich nur die Inschrift Wir müssen wissen/Wir werden wissen, die Schlussworte seiner berühmten Radioansprache von 1930, in der er seine unerschütterliche Überzeugung zum Ausdruck brachte, dass Wissen keine Grenzen kennt.
Grabstein des Grabs von David Hilbert, mit einer Inschrift unten.
Hilbert war immer davon überzeugt, dass jedes mathematische Problem lösbar sein muss. Ende des 19. Jahrhunderts waren Risse im Fundament der Mathematik erkennbar geworden, weil in mathematischen Teilbereichen, die zuvor als klar und sicher galten, plötzlich logische Fehler auftauchten und zu Widersprüchen führten. Schon früh begann Hilbert, an seiner Vision einer streng axiomatischen (oder auf einfachen Grundlagen aufgebauten) und ordentlichen Mathematik zu arbeiten, um ein neues, solides Fundament für die Mathematik zu schaffen. Dazu gehörte, dass er die 23 offenen mathematischen Probleme zusammenfasste, die aus seiner Sicht am wichtigsten waren, und sie auf dem zweiten mathematischen Kongress in Paris im Jahr 1900 vorstellte.
Interessanterweise legte Hilbert damit die zukünftigen Hauptthemen und Forschungsschwerpunkte der Mathematik fest, da es als Ehre angesehen wurde, eines von Hilberts Problemen zu lösen. Auf diese Weise hatte er eine nachhaltige Wirkung auf die mathematische Forschung des 20. Jahrhunderts.
Hilberts eigene mathematische Arbeiten bildeten unter anderem die mathematischen Grundlagen für die später entwickelte Quantenmechanik. Ich kenne keinen anderen Mathematiker der Neuzeit, der ein so umfassendes Verständnis für verschiedene mathematische Bereiche hatte und einen so bleibenden Einfluss auf sein Fach und verwandte Wissenschaften wie die Physik ausübte, die seiner Meinung nach übrigens “eigentlich viel zu schwierig für Physiker” war.
Für David Hilbert war der Ausschluss von Frauen in den Wissenschaften, der zu seiner Zeit leider gängige Praxis war (und sich erst allmählich bessert), unverständlich. Er unterstützte talentierte Mathematikerinnen und scheiterte nur knapp daran, seiner Doktorandin Emmy Noether, einer der Begründerinnen der modernen Algebra, zu einer eigenen Professur zu verhelfen. Im Zusammenhang mit den Diskussionen um Noethers Bewerbung um eine Habilitation sagte Hilbert seinen viel zitierten Satz: “Eine Fakultät ist doch keine Badeanstalt!” Damit wollte er ausdrücken, dass die Geschlechtertrennung in Schwimmbädern (eine damals übliche Praxis) in Ordnung war, aber an einer Universität keinen Sinn ergab.
Erinnerung an einen bleibenden Einfluss auf die Wissenschaften
Auch wenn dieser Spaziergang durch die Wissenschaftsgeschichte auf meine Kinder eine einschlafende Wirkung hat, hoffe ich, dass Sie ihn interessant fanden. Neben den hier genannten gibt es noch viele weitere wissenschaftliche Koryphäen, die auf dem Stadtfriedhof beigesetzt wurden und die ebenfalls eine besondere Würdigung verdienen. Sollten Sie jemals nach Göttingen kommen, können Sie diese Tour vielleicht selbst unternehmen und Ihre eigenen Entdeckungen machen!
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